Im GOLF’n’STYLE-Interview spricht die olympische Silbermedaillen-Gewinnerin Esther Henseleit über den verrückten letzten Tag in Paris und darüber, warum Europa mit ihr als Teil des Teams erneut den Solheim Cup gewinnen wird.
Esther, was sind das für aufregende Wochen, die hinter dir liegen. Erst gewinnst du auf herausragende Art und Weise Olympia-Silber, dann wirst du Zweite in Schottland und qualifizierst dich für deinen ersten Solheim Cup! Zu all dem einen riesengroßen Glückwunsch! Nimm uns nochmal mit zurück nach Paris. Nimm uns mit in den Moment, als dir klar war, das ist Silber, das ist eine Medaille. Was ging dir da durch den Kopf?
Vielen Dank! Erstmal gar nicht so viel, ehrlich gesagt (lacht). Ich muss sagen, die Situation am Finaltag war so, dass ich wusste, ich muss etwas Besonderes machen, damit ich noch eine Chance auf eine Medaille habe. Ich war komplett im Tunnel und hatte den klaren Fokus: Okay, ich spiele aggressives Golf, ich will einfach so viele Birdies machen wie möglich. Als es dann vorbei war, dachte ich erstmal: und jetzt? Ich wusste gar nicht, was genau passiert. Ich wusste auch nicht genau, wo ich wirklich stand nach der Runde.
Und dann? Wie ging es weiter?
Dann kamen ein paar Freunde, die auch mit mir auf der Tour spielen und meinten: Esther, es wird Silber. Ich habe das gar nicht so richtig verstanden. Meine Reaktion war: Wie, es wird Silber? Ich wusste zwar, ich habe wahrscheinlich eine gute Chance auf eine Medaille. Aber mir war eben gar nicht so bewusst, dass ich wirklich so weit vorne war.
Und plötzlich standen du und der Golfsport im medialen Fokus.
Ja, seitdem war es auf jeden Fall eine aufregende Zeit für mich. Es war toll zu sehen, wie viel Aufmerksamkeit der Golfsport bekommen hat, auch mal in den großen deutschen Medien. Und natürlich ist es vor allem extrem schön, dass es jetzt so eine positive Stimmung gegeben hat in Golf-Deutschland.
Zu der du maßgeblich beigetragen hast. Wie hast du das vor Ort gefeiert? Schließlich war deine ganze Familie dabei und dein Verlobter Reece als dein Caddie ja sowieso.
Erst einmal hatte ich noch am Golfplatz viele Medientermine. Es hat also noch ein paar Stunden gedauert, bis ich dann auch wirklich feiern konnte. Dann aber sind wir alle zusammen mit meinem Team, meiner Familie, mit ein paar Freunden ins Deutsche Haus gefahren und haben da richtig gefeiert.
Wenn du nochmal an diese fantastische Schlussrunde von -6 zurückdenkst, mit der du dich von Platz 13 zu Silber geschossen hast. Warum lief es an dem Tag so gut?
Ich habe einfach extrem gut gespielt. Meine Stärke ist mein Eisenspiel und das war an dem Tag richtig gut. Ich hatte sehr viele kurze Birdie-Chancen und die habe ich auch genutzt. Auf den zweiten Neun war es dann zwar ein bisschen ruhiger, am Ende aber nochmal auf der 17 und der 18 Birdie zu spielen, war schon extrem stark. Vor allem das Birdie an der 17 war besonders. Ich habe kaum Fehler gemacht. Es ist einfach alles zusammengekommen an diesem Tag.
Du hast hinterher wahrscheinlich 1000 Glückwünsche und WhatsApps bekommen. Hand aufs Herz, über wessen Glückwünsche hast du dich am meisten gefreut?
Puh, das ist echt schwer zu sagen. Es waren sehr viele dabei. Wirklich besonders war aber natürlich Annika (Sörenstam, Anm. d. Red.), eine der größten Persönlichkeiten im Golfsport, die mir zwar nicht die Medaille, aber das Poster als Geschenk bei der Siegerehrung übergeben hat. Ansonsten muss ich sagen, war das Besondere für mich, meine Familie und meine wirklich engen Freunde in Freuden-Tränen ausbrechen zu sehen, als ich von der Runde kam.
Und du hast ja nicht aufgehört, bärenstarkes Golf zu spielen. Nur eine Woche später, hast du in einem Top-Feld fast die Scottish Open gewonnen, bist am Ende wieder Zweite geworden. Damit hast du dich in vorletzter Minute noch direkt für den Solheim Cup qualifiziert. Was bedeutet es dir, für Team Europe gegen die USA zu spielen?
Das bedeutet mir sehr viel. Es war immer mein Ziel, schon bevor ich Profi geworden bin, einmal einen Solheim Cup mitzuspielen. Natürlich wollte ich mich dafür auch direkt qualifizieren und mich nicht auf einen Captain’s Pick verlassen müssen. Deswegen habe ich mir nach Olympia auch gesagt: Okay, noch ist nichts sicher. Ich muss noch zwei Wochen gutes Golf spielen und dann habe ich wirklich eine Chance. Deswegen war es so wichtig, in Schottland nochmal gut zu spielen und es auch aus eigener Kraft zu schaffen. Jetzt kann ich es kaum erwarten, dass es endlich losgeht.
Hast du dich mit Caro Masson oder Sophia Popov, die beide schon Solheim Cups gespielt haben, schonmal ausgetauscht, was dich in Sachen Atmosphäre, Team-Spirit und Zuschauer erwartet? Das ist ja alles andere als ein normales Turnier.
Auf jeden Fall. Ich habe mit beiden schon darüber gesprochen und auch mit vielen anderen Europäerinnen, die im Team sind. Alle sagen, dass es die beste Woche in zwei Jahren ist. Für alle ist es ein Highlight, am ersten Tee zu stehen und dann Punkte für Europa zu holen.
Golf ist generell ein Einzelsport, wird im Solheim Cup dann aber durch das Format zum kompletten Team-Event. Wie gefällt es dir, dann auch im Vierer zu spielen, im Matchplay, Face-to-Face gegen einen Gegner?
Ich freue mich extrem darauf. Die Team-Events, die wir als Amateure gespielt haben, waren immer ein Highlight für mich. Deshalb freue ich mich, jetzt wieder dieses Teamgefühl zu haben. Es wird einfach alles ein bisschen emotionaler. Man will das alles vielleicht noch ein bisschen mehr und die Stimmung ist viel besser als bei einem normalen Turnier, wo jeder für sich selbst spielt. Das Format gefällt mir sowieso. Ich liebe es, Vierer zu spielen. Best Ball macht gefühlt noch mehr Spaß, weil man einfach probiert, so viele Birdies zu machen wie möglich und besonders tiefe Scores zu spielen. Ich freue mich also auf alles und hoffe, dass ich die Woche einfach genießen kann.
Gibt es eine Spielerin im Team, mit der du besonders gern zusammenspielen würdest?
Nicht so richtig. Ich weiß gar nicht, wie viel wir am Ende zu sagen haben. Ich glaube, das wird hauptsächlich den Kapitäninnen und dem Statistik-Team überlassen, wer da wirklich gut spielerisch und auch menschlich zusammenpasst. Ich komme mit allen Mädels im Team echt gut klar. Also kann ich mir vorstellen, mit jeder Einzelnen als Viererpartnerin zu spielen.
Wie sieht es mit dem Platz aus? Der Robert Trent Jones Golf Club in Gainesville, Virginia. Kennst du den Platz und wenn ja, wie findest du ihn?
Ich habe Anfang des Jahres dort gespielt. Da hatten wir quasi ein kleines Vorbereitungscamp. Der Platz ist wirklich extrem gut, ein typisch amerikanischer Golfplatz: große Fairways, große Grüns, extrem schön gelegen an einem See. Ich glaube, die Stimmung wird auf jeden Fall richtig gut. Das ist ein perfekter Platz für Zuschauer.
Die letzten Jahre sah es für die Amerikanerinnen eher nicht so gut aus. Zuletzt gab es drei Niederlagen in Folge. Die Europäerinnen dagegen sind somit seit 2017, wenn auch knapp, ungeschlagen. Warum wird Team Europe in diesem Jahr wieder gewinnen?
Weil wir auf dem Papier das stärkste Team haben, das wir je hatten. Ich habe das Gefühl, dass die Europäerinnen einen extrem guten Teamgeist haben und dieses Teamformat ein bisschen mehr gewohnt sind als die Amerikanerinnen. Aber es war, wie du sagst, immer knapp die letzten Jahre. Vor allem der letzte Solheim Cup im vergangenen Jahr wurde ja am Ende nur verteidigt. Es wird also auf jeden Fall ein gutes Match und ich hoffe natürlich, dass wir den Cup wieder mit nach Europa bringen können.