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Life

Kleb’ dir eins!

19. November 2018
Getapter Oberarm
Foto: Microgen/Shutterstock.com

Mal werden sie versteckt getragen, mal als bunter Hingucker. Auf jeden Fall schwören Profisportler schon lange auf die sogenannten Kinesio-Tapes. Wir haben einen Experten gefragt, was es mit den farbigen Klebestreifen auf sich hat.

Als Tiger Woods im Juli bei The Open spielte, lugte schwarzes Tape unter seinem Kragen hervor. Auch an den schlanken Beinen von Michelle Wie sieht man immer wieder Klebestreifen, meist in bunten Farben und Mustern. Doch wer denkt, hierbei handele es sich um ein etwas eigenwilliges modisches Accessoire, der irrt! Tatsächlich sind die selbstklebenden Textilbänder, in Fachkreisen bekannt als Kinesiologie-Tapes, eine Geheimwaffe vieler Sportler gegen Verspannungen und Muskelschmerzen. Wie man die bunten Pflaster anwendet und gegen welche Beschwerden sie helfen, wollten wir von Bernhard Gödert wissen, der die Physiotherapie in der Helios Klinik München Perlach leitet und seit mehr als 12 Jahren mit Kinesio-Tapes arbeitet.

Herr Gödert, wie wirken die Kinesio-Tapes? 

Bei Kinesio-Tapes, auch Physio-Tapes genannt, handelt es sich um spezielle Pflaster aus elastischer Baumwolle, die dank eines Acrylatklebers fest auf der Haut haften. Die Klebestreifen werden gezielt auf bestimmten Hautregionen angelegt, um Muskeln und Gelenke zu behandeln. Dabei ist es wichtig, auf die korrekte Position, Spannung und Zugrichtung der Tapes zu achten. Wenn man sich bewegt, „bearbeitet” der Tapeverband auch die unter ihm liegenden Gewebeschichten. Dadurch können Blut und Lymphflüssigkeit besser fließen, was die Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen verbessert und den Abbau von Entzündungsstoffen beschleunigen soll. Über Reflexbögen, die die Haut über die Wirbelsäule mit anderen Körperstrukturen verbinden, kann das Tape auch Bänder, Faszien und vor allem Schmerzrezeptoren positiv beeinflussen.


Welche Beschwerden lassen sich mit den Klebebändern behandeln?

Kinesiologie-Tapes wurden in den 1970er-Jahren von dem japanischen Arzt und Chiropraktiker Dr. Kenzo Kase entwickelt, um Schmerzen auf natürliche Weise zu lindern. Grundsätzlich lassen sich die Tapes gut gegen Beschwerden in Muskeln, Sehnen und Bändern, bei Blutergüssen sowie bei schmerzenden und bedingt instabilen Gelenken einsetzen. Sie sind allerdings keine ausreichende Therapie, wenn Muskelbündel oder Bänder bereits gerissen sind. Bisher gibt es noch keine belastbaren Studien, die eine Wirksamkeit der Kinesio-Tapes beweisen. Deshalb werden die Behandlungskosten auch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. In der Praxis habe ich mit den Tapes jedoch sehr gute Erfahrungen gemacht.

Warum sind die Tapes bei Sportlern so beliebt?

Anders als starre Tapeverbände, die in der Sportmedizin zur Ruhigstellung und Stabilisierung eingesetzt werden, machen Kinesio-Tapes jede Bewegung mit. Die Muskeln und Gelenke können also uneingeschränkt arbeiten und werden von den Klebebändern in ihrer Funktion unterstützt. Leichte Verspannungen und Muskelreizungen lassen sich so sanft wegtrainieren. Allerdings sollten die Tapes niemanden dazu verleiten, mit ernsthaften Verletzungen Sport zu machen. Deshalb rate ich dazu, sich vor einer Behandlung mit Kinesio-Tape von einem Arzt oder Physiotherapeuten untersuchen zu lassen.


Kann man einen Tape-Verband selbst kleben?

Wer noch gar keine Erfahrung mit dem Tapen hat, sollte nicht einfach so loskleben. Denn für einen efffektiven Kinesio-Verband bedarf es umfangreiche Kenntnisse über die Anatomie von Muskeln, Bändern, Sehnen und Gelenken. Am Anfang sollte daher auf jeden Fall immer eine Untersuchung und Erstbehandlung durch einen in Kinesiologie ausgebildeten Arzt oder Physiotherapeuten stehen. Wenn Partien wie die Knie oder Sprunggelenke behandelt werden, an die man gut herankommt, können Patienten Ihren Tape-Verband nach einer gründlichen Einweisung auch selbst anlegen. An schwer zugänglichen Stellen wie Rücken, Schultern oder Nacken sollte man aber lieber einen Profi kleben lassen. Das kostet, je nach Größe des Tapeverbandes und Dauer der Anwendung, ab ca. 20 Euro pro Anlage.

Wie lange kann das Tape getragen werden?

Die Tapes können bis zu zehn Tage auf der Haut bleiben und überstehen sogar Sport und Duschen. Beim Duschen werden Stoffe, die sich im Tape über die Haut angesammelt haben ausgewaschen. Dies ist ein durchaus gewünschter Effekt. Das Tape sollte danach lediglich abgetupft, aber nicht „trocken gerubbelt” werden. Ihre größte Wirkung entfalten die Bänder allerdings in den ersten drei bis vier Tagen.


Gibt es Nebenwirkungen?

Nebenwirkungen sind bei den Physio-Tapes eigentlich nicht zu erwarten. Manche Patienten mit sehr empfindlicher Haut können allerdings allergisch auf den Kleber reagieren, obwohl dieser grundsätzlich sehr hautfreundlich ist. Werden die Tapes mit zu großer Spannung aufgebracht, kann es zu schmerzhaften Hautblasen kommen. Dies lässt sich vermeiden, indem Sie den Tape-Verband von einem Profi machen lassen.


Haben die Farben eigentlich eine Bedeutung?

Die ursprünglichen, von Dr. Kase entwickelten Kinesio-Tapes waren dezent Hautfarben. Solche gibt es auch heute noch zu kaufen. Die Wirkung der knallig-bunten Tapes ist eher eine psychologische: Viele Menschen mögen die bunten Tapes lieber, weil sie die Farben als anregend empfinden. Außerdem wirken die farbigen Klebebänder nicht ganz so medizinisch. Schwarze Tapes nehmen Licht besonders gut auf und können dadurch in der Sonne richtig warm werden. Das kann bei Verspannungen und chronischen Schmerzen sehr angenehm sein. Liegt dem Schmerz ein entzündlicher Prozess zugrunde, sollte man aber lieber eine hellere Farbe wählen, um das Areal nicht zu überreizen.

Bernhard Gödert ist Spezialist auf dem Gebiet der Kinesiologie. In der Helios Klinik München Perlach be- handelt er mit den Tapes auch Ärzte und Pflegepersonal. Für Fragen und Terminanfragen ist er unter Tel. 089 / 6 78 02 46 02 erreichbar.