Der Life- und Karrierecoach vieler erfolgreicher deutscher Sportler, Olympiasieger und Golfprofis wie Marcel Siem, Nick Bachem oder Freddy Schott spricht mit GOLF’n’STYLE über die nicht wesensgerechte Ausbildung deutscher Sportler, Golfprofis mit Hypersensibilität und über Emotionen auf dem Golfplatz.
Holger, wie wird man Life-Coach, wie wird man Karriere-Coach, gerade im Bereich Profisport?
Ich war 17 Jahre lang Tennis-Trainer im Hochleistungsbereich, habe große Clubs als Cheftrainer geführt und dabei meine Mädels und Jungs selbst sozusagen großgezogen. Meine damalige Frau hat mich dann irgendwann gefragt, ob ich auf dem Tennisplatz sterben will. Natürlich wollte ich das nicht. Was ich aber wollte, war Menschen von A nach B zu begleiten. Mich hat dabei immer irgendwie fasziniert, wie und warum talentierte Menschen auf ihrem Karriereweg irgendwo hängen bleiben. So ging es dann los.
Da trifft man dann auf spannende Sportler, auf spannende Menschen, mit denen man auch mental arbeitet. Dir ist aber ist wichtig, immer wieder zu betonen, dass du nicht „nur“ Mentaltrainer bist.
Genau. Nur das Mentale ist mir zu oberflächlich. Man kann damit zwar jemandem kurzfristig helfen, die Erfahrung aber hat gezeigt, dass das Mentale nur einer von zwölf potenziellen und sogenannten Karriere-Killern ist. Daher ist mir wichtig, dass ich die Persönlichkeit als Ganzes erfasse, nicht nur in eine Richtung.
Du arbeitest mit Profis verschiedener Sportarten zusammen. Mit Fußballern, Handballern, Tennisspielern, Reitern, aber eben auch mit Golfprofis wie Marcel Siem oder Nick Bachem. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit mit Golfspielern im Vergleich zu anderen Profisportlern?
Das Spannende, als ich damals das erste Mal mit Golf in Kontakt kam, war für mich, dass die Golfwelt eine ganze eigene Welt für sich ist und mit anderen Gesetzmäßigkeiten im Profisport teilweise nur wenig gemein hat. Das war am Anfang erst einmal schwierig, weil viele Dinge für mich eigentlich gar keinen Sinn ergaben oder teilweise immer noch keinen Sinn ergeben. Die Golfspieler ticken ganz anders und wurden in ihrer Sportart auch anders erzogen als andere Profisportler, vor allem aber auch anders erzogen als Sportler aus anderen Ländern.
Wie genau meinst du das? Wie werden Sportler in Deutschland augebildet?
Wir in Deutschland haben irgendwo das Bedürfnis, alle gleich zu behandeln. Das heißt, die Sportler müssen alle auch Dasselbe machen. Wenn man jetzt zum Beispiel mal Weltfußballer Lionel Messi nimmt: Der hat eine spezielle Persönlichkeit. Das heißt, Lionel Messi läuft im Spiel fünf Kilometer weniger als alle anderen und geht oft spazieren. Genau das muss er aber auch tun. Denn wenn er mal explodiert ist und sein System hochfährt, kann er das auf Dauer gar nicht durchhalten. Lionel Messi durfte sich so entwickeln, wie er tatsächlich auch ist und man hat darauf Rücksicht genommen. So etwas wäre in Deutschland in nahezu keiner Sportart denkbar, im Jugendbereich bis ins Erwachsenenalter so ausgebildet zu werden. Hierzulande wird zu wenig auf die Persönlichkeit geachtet. Das ist im Profisport so, das ist in anderen Berufen bis in die Führungsebene aber auch so.
Warum arbeiten mittlerweile fast alle Profigolfer mit einem Mental-Coach oder einem Life-Coach zuammen?
Also zunächst einmal wird bei Profisportlern, gerade auch bei Golfern, oftmals von mentaler Schwäche gesprochen. Das ist Quatsch. Kein Profisportler, der damit sein Geld verdient, ist mental schwach, sonst würde er kein Geld damit verdienen. Es passt dann mit der eigenen Persönlichkeit etwas nicht oder es sind andere Dinge, die ihn so beeinträchtigen, dass er bestimmte Leistungen einfach nicht mehr erbringen kann.
Im Kontext von Persönlichkeit sprichst du auch gerne von HSP, also von hochsensiblen Personen, High Sensitive Person auf Englisch. Was hat es damit auf sich?
In Deutschland sind in etwa 20 % der Menschen HSPler und von denen sind gleichzeitig alle hochbegabt. Hochbegabt heißt in dem Kontext nicht, dass es Einser-Kandidaten in der Schule sind, sondern die Wissenschaft spricht von 16 bis 21 Intelligenzen bzw. Hochbegabungen. Die Höchstbegabten vereinen mehrere davon. Die Definition von Hochbegabung wiederum ist, dass diese Menschen pro Sekunde mehr Gedanken, mehr Bilder im Kopf und andere Gefühle haben und normalerweise in Lösungen denken. Sie haben zudem andere Reaktionsmuster. Das heißt, sie sind kurzzeitig extrem belastbar, benötigen aber auch mehr Recovery. Sie brauchen eher geringere Trainingsumfänge, aber dafür breiter gefächerte Aufgaben. Sie reagieren nur über Challenges, über Herausforderungen, über Reize. Wenn sie immer dasselbe machen, stumpfen sie relativ schnell ab. Unter den Golfprofis halte ich übrigens fast jeden für einen HSPler.
Extreme Belastbarkeit, in Lösungen denken: Das sind ja Dinge, die können, wenn man am Ball steht, von Vorteil sein, können den Kopf aber gleichzeitig auch vor schwere Aufgaben stellen, oder?
Definitiv, denn HSPler haben auch eine ausgeprägte Gefühlswelt. Denen wird aber leider aberzogen, dass Technik und Logik Gefühle schlagen. Und jeder, der Golf spielt, weiß, das Wichtigste im Golf ist das Gefühl.
Wir haben in letzter Zeit viele gute Golfspieler in Deutschland produziert. Wenn man ein paar Jahre zurückblickt, gab es eigentlich nur Marcel Siem, Martin Kaymer und Max Kieffer. Mittlerweile spielen zwölf Jungs auf der europäischen Tour. Bei den Frauen sieht es ähnlich aus. Da kann auf den ersten Blick ja so viel eigentlich gar nicht falsch laufen. Was würdest du dir trotzdem wünschen, im Umgang mit jungen Spielern?
Ja, es sind deutlich mehr Spieler dabei, aber nein, wir haben nach wie vor keine Weltklasse-Leute. Das ist aber kein Golfphänomen. Wir haben im Tennis keine Weltklasse mehr und auch im Fußball sind wir nicht auf Weltklasseniveau. Vielleicht sind wir wieder auf dem Weg dahin, aber bislang sind wir noch nicht wieder ganz oben. Wo wir Weltklasse verkörpern, ist aktuell Basketball. Ein Sport, in dem die meisten drüben in Amerika spielen und wir auch einen ausländischen Trainer haben. Das soll um Gottes willen nicht heißen, dass wir schlechte Trainer haben. Das Problem aber ist, die neuronalen Strukturen der jungen Menschen und Sportler haben sich verändert und vor allem mit den extremen Typen wird hier einfach schlecht umgegangen, weil man einfach leider noch keine Ahnung vom Thema HSP-Hochbegabung im Profisport hat. Da haben wir absolut Nachholbedarf. Denn die Ausbildung ist in anderen Ländern teilweise deutlich besser. Da haben vor allem kleinere Staaten in Individualsportarten oft deutlich mehr Weltklasse-Athleten als wir.
Und das ist bei über 80 Millionen Einwohner mit den wirtschaftlichen Ressourcen, die Deutschland hat, ja eigentlich ziemlich traurig.
So ist es. Wir sind mit Sicherheit in ganz Europa, in verschiedenen Sportarten berühmt, berüchtigt als die besten Theoretiker. Hier wird viel wissenschaftliche Arbeit geleistet, von der andere auch profitieren. Aber wir können einfach viel zu wenig mit Menschen umgehen, gerade mit richtig talentierten Menschen. Im Golf ist oft dieses Denken „viel hilft viel“ und „noch mehr hilft noch mehr“ verankert. Wenn ich dann sehe, wie manche Leute, wie auch manche HSPler genau danach trainieren, muss ich sagen, die trainieren einfach entgegen ihrer Natur. Wenn ein Spieler fünfmal die Kugel auf zehn Zentimeter an den Stock spielt, warum soll er es erneut zehnmal tun? Ihm wird dann gesagt „aber du musst es machen“. Dann macht er es und verliert A die Lust, B die Präzision und C frisst er viel Negatives in sich hinein.
Und dann werden viele Spieler, Amateure, aber auch Profis wie Tyrrell Hatton oder Marcel, oft emotional. Rätst du dazu, diese Emotionen herauszulassen? Denn sie zu verbergen kommt einem falsch vor.
HSPlern und Typen wie Marcel darf man nicht die Emotionalität wegnehmen, aber man kann sie kanalisieren. So wird dann aus einer Kompensation, bei der du dich ärgerst, keine Übersprungshandlung. Die Übersprungshandlung ist das, was spontan herauskommt und wo man dann völlig überrascht ist. Ein Beispiel wäre einen Schläger zu werden oder sogar zu zertrümmern. In Deutschland wird emotionalen Typen oft gesagt, du musst ruhig bleiben und die Klappe halten. Damit machst du diese Menschen aber eher klein und sie verlieren irgendwann die Lust an ihrem Sport. Richtig wäre, ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie mit ihrer Emotionalität auch außerhalb des Platzes anders umgehen. Wir Deutschen sind ja nicht unbedingt die Emotionsbiester oder Menschen, die offen zu ihrer Sensibilität und Feinfühligkeit stehen. Leider ist das bei uns immer noch mit Schwäche verbunden. Das ist ziemlich schade.
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